Zeitfenster 9 - Unvorstellbare Not - Hilfeersuchen an England - Appell an Europa

Nach der Völkerschlacht und der Flucht Napoleons in Richtung Westen war die Situation in Sachsen vor allem aber in und um Leipzig katastrophal. Die größte Feldschlacht seit der Antike war zugleich die blutigste seit Menschengedenken. Die Not unter der Zivilbevölkerung war unvorstellbar. Aus diesem Grund wandte man sich z. B. am 18. November 1813 mit der Bitte um Hilfsgelder an England, die einzige Nation, die über ausreichende Mittel verfügte. Der Erzbischof von Canterbury erwirkte, dass das englische Parlament 100.000 Pfund Sterling an Hilfsgeldern für das notleidende Deutschland bewilligte. Sachsen erhielt 35.700 Pfund. Es gibt Berichte darüber, dass zahlreiche Einzelpersonen aus den nicht durch die Kampfhandlungen oder durch Einquartierungen betroffenen Gebieten Hilfe gewährten und organisierten. Provisorische Lazarette und Nahrungsmittelspenden vor allem für Leipzig und die vollständig von den Kampfhandlungen zerstörten Dörfer wurden bereitgestellt. In unserem Gebiet erfolgte eine Erfassung der Kriegsschäden bis ins Jahr 1814 hinein. All das konnte aber die Not und das Elend nur unzureichend lindern. Viele der Geschädigten mussten die Verluste an Hab und Gut selbst tragen.

Mit dem Übertritt der sächsischen Armee zu den Verbündeten und der Gefangennahme des sächsischen Königs war Sachsen aus Sicht der napoleonischen Truppen Feindesland. Noch bis in den November hinein wurde Dresden als Festung von den Franzosen (30.000 Mann) gehalten. Am 9. November scheiterte der Fluchtversuch der französischen Garnison aus der Stadt, die dann am 11. November kapitulierte. Überall im Land zogen zum Teil völlig desorientiert kleinere Soldatengruppen umher. Sie führten oft verwundete Kameraden mit sich und biwakierten in Folge völliger Erschöpfung an den Rändern der Heeresstraßen. Diebstahl und Plünderungen waren an der Tagesordnung. Die Soldaten und Marketenderinnen suchten auf den Schlachtfeldern noch brauchbare Kleidung. Leichenfledderer waren überall unterwegs, besonders grausam ist es sich vorzustellen, dass den toten Soldaten die Zähne herausgebrochen und diese wiederum auf dem Schwarzmarkt meist nach England verkauft wurden. Handwerkern verarbeiteten die Zähne der jungen Soldaten zu Gebissen (später waren diese Zähne bekannt auch unter dem Namen Waterloozähne). Unvorstellbar waren die Leiden der zum Teil schwer verwundeten Soldaten. Das Lazarettwesen beschränkte sich im Wesentlichen auf die Sichtung der Wunden und Amputationen, Verbandsmittel waren kaum vorhanden. Wundfieber und Typhus grassierte, der Tod wurde als Erlösung vom Leiden sehnsüchtig erwartet. Berichte und Bilder von Verwundeten und Sterbenden in den Gruftgebäuden auf dem Johannisfriedhof von Leipzig noch Wochen nach der Schlacht lassen das Elend nur ansatzweise erahnen. Aus all diesen Gründen fällt es schwer, von einem Jubiläum der Völkerschlacht zu sprechen. Stattdessen sollte das Gedenken im Zentrum aller Erinnerungskultur stehen.
Mit den Befreiungskriegen ging die napoleonische Zeit zu Ende. Viele der Hoffnungen auf ein geeintes neues und friedliches Europa wurden in der Folge nicht erfüllt. Stattdessen etabliert sich wieder ein rückwärtsgewandtes System. Der Nationalismus in der Mitte Europas verstärkte sich. In Folge dessen kam es zu weiteren furchtbaren Kriegen 1870/71, sowie dem 1. und 2. Weltkrieg. Wenn das Gedenken der Völkerschlacht dazu dient, deutlich zu machen, dass alle Kraft und alles diplomatisches Geschick dafür einzusetzen ist, dass solche Ereignisse der Vergangenheit angehören, verfehlt es seinen Zweck nicht. Noch vor 100 Jahren 1913 war es die Überheblichkeit des Kaiserreiches in Deutschland, die solch umstrittene Monumentaldenkmäler wie das Völkerschlachtdenkmal errichtete. Die Gedenkveranstaltung am 18. Oktober 2013 am Völkerschlachtdenkmal hat die Versöhnung der Völker in den Mittelpunkt gestellt.
Die dauerhafte Aufgabe der Völker Europas ist es, sich für Freiheit, Frieden und Demokratie einzusetzen. Die Friedensbotschaft von zwölf jungen Menschen, aus den an der Völkerschlacht beteiligen Ländern, die so alt waren wie die meisten der gefallenen Soldaten damals, war das Hoffnungszeichen für Europa am Schluss der Veranstaltung in Leipzig im Jahre 2013.