Zeitfenster 4 - Berichte aus den Pfarrhäusern Röhrsdorf und Naustadt
Vom 4. Juni bis 17. August währte der Waffenstillstand. Von kleinen Scharmützeln abgesehen, hatte die Bevölkerung im wesentlichen unter den Einquartierungen der Kaiserlichen Armee in unseren Dörfern zu leiden. Wilhelm von Kügelgen schreibt in seinen Jugenderinnerungen: “… alle Häuser lagen voll Militär, das fast in allen Zungen Europas durcheinander lachte, sprach und fluchte.“
Pfarrhaus Röhrsdorf
".. 17. Juni bis 19. Juli: Diese 5 Wochen hatten wir im beständigen Cantonierungsquartier auf hiesiger Pfarre den Artillerie Capit. Cahè von der jungen Garde mit 1 Canonier und 2 Pferden. Ein paar sonderbare Menschen! Der Herr war verliebt bis über die Ohren in alles, was eine Schürze trug, der Diener hatte die Krätze. Jener verfolgte mit seiner Liebe was er habhaft werden konnte. Dieser floh vor allem was Frauenzimmer hiess, damit sie nicht sein Jucken und Schaben sehen möchten. Jener ward gehasst, dieser geliebt von allen. Der Capitaine war im Anfange der Revolution mit 18 jungen Leuten seines Geburtsorts in den Soldatenstand getreten. Davon lebten noch 4 als Capitains. Der Canonier Boulens hatte vor 5 Jahren gegeben 1500 francs, für einen Stellvertreter, vor 3 Jahren 3000, um nicht nach Spanien zu marschieren. Nun stand er in Deutschland, und sein Stellvertreter in Spanien. Cahè war unerbittlich streng im Bestrafen von Fehlern der disciplin, wollt´ es auch sein im Entscheiden von Streitigkeiten zwischen Bauer und Soldat; aber kaum hatt` er den klagenden Soldaten angehört; so ward er im Gesicht ganz schwarz für Zorn, hörte nun 20 Worte des Bauers, wovon er nur 2 verstand, fuhr dann mit 1 Dutzend franz. Flüche auf ihn ein, und lies den Stock die endliche Überzeugung vollends bewirken. Einen Corporal seiner Compagnie, der den Cameraden einiges gestohlen hatte, gab er Preis der Willkühr der See-Artilleristen, die ihn ganz auszogen, und ihn unter unbarmherzigen Prügeln so weit fortjagten, als er laufen konnte. Gleichwol kehrt er nach 2 Tagen über und über verschwollen zurück und bat um Wiederaufnahme. Das ward ihm abgeschlagen und er mit abermaligen Prügeln fortgewiesen. Er ging aber durchaus nicht; Endlich ward er ins Prison (Gefängnis) gelegt und beym Abmarsch geschlossen mit fortgeführt. Boulens freute sich über nichts so sehr, als über die artigen Sachsinnen, die so fleissig arbeiteten, welches die Französinnen nicht zur Hälfte so thäten. 100 mal fragt` er mich, ob sich nicht eine entschliessen würde, wenn wir Frieden kriegten, ihn zu heyrathen und mit ihm nach Frankreich zu ziehen. Dann wär er ein glücklicher Mann auf lebenslang. Ausserdem war noch der Capit. ein unergründlicher Kirsch-, der Canonier ein unersättlicher Fleisch- und die Pferde ganz bodenlose Klee-Fresser. Daher waren wir herzlich froh, als wir diese 5 wöchentlichen Gäste abmarschieren sahen.“
Pfarrhaus Naustadt
15. Juni bis Mitte Juli waren ständig Offiziere verschiedener Ränge mit Bediensteten und meist 2 bis 5 Pferden einquartiert. Am 23. Juli bis 13. August kamen zusätzlich ein Capitain der Kaisergarde mit weiteren 2 Bediensteten und 4 Pferden.
Am 3. Juli wurde angefangen, Reimers Haus in Reppina in ein Blockhaus zu verwandeln und mit Palisaden zu umgeben. Das heißt, es wurden zur Verteidigung der Elbelinie am ehemaligen Fährstandort (Fähre war am 19. März zerstört worden) Vorkehrungen getroffen. Dieser französische Verteidigungsposten war mit „100 Mann und 2 Offizieren besetzt, welche wechselweise von Naustadt, Reichenbach, Batzdorf und Röhrsdorf versorgt werden mussten, mit Brod, Fleisch, Brandwein, Licht, Oehl und tägl. 1 alte Henne und 2 Bout. Wein. Allein das Pfarrhaus lieferte 115 Pfund Brod, 55 Pfund Fleisch, 8 Pf. Weißbrod, 7 Pf. Salz, 1 Pf. Lichte, 1 Kanne Oehl, 1 Henne, 3 Säcke Erdbirnen, 2 Kannen Wein“.