Zeitfenster 3 - Sora hatte 1813 über 42.000 Einquartierungen zu erdulden

So hart wie es Tanneberg und Limbach am 7. und 18. Mai 1813 getroffen hatte, erging es auch Sora. Gelegen an der Militärstraße Meißen-Wilsdruff hatte es schwere Schäden und Lasten zu tragen, wie auch die gesamte Wilsdruffer Region. Steuern und Abgaben konnten nicht mehr gezahlt werden. Der Amtshauptmann von Karlowitz bemühte sich um den Erlass derselben, deshalb wurden die Kriegsschäden genau erfasst. So hatte z.B. Sora (ohne Lampersdorf) 1813 allein schon über 42.000  Einquartierungen zu erdulden.
Der Bauer Johann Gottlieb Nitzsche, ein Vorfahre unseres Gemeinderats Matthias Nitzsche, musste 720 Pfund Brot, 230 Zentner Heu, 1 Kuh, 15 Schafe und 60 Scheffel Hafer (ca. 70 Zentner) liefern. Darüber hinaus wurden auch seine Gebäude beschädigt. Diese Schadenserfassung wurde für alle bäuerlichen Anwesen niedergeschrieben. In Wilsdruff z.B. waren an manchen Tagen in den kleinsten Häusern 25 bis 30 Soldaten und in den größeren Häusern bis zu 100 Mann einquartiert. Erste Fälle von Typhus (damals Nervenfieber genannt) traten schon im März 1813 in Naustadt auf. Die nahezu flächendeckende Typhusepedemie reichte bis weit in das Jahr 1814. Die Sterberate schnellte nach oben. Im Kirchspiel Naustadt starben 1813 114 Personen, davon 42 an Nervenfieber. Die meisten Todesfälle gab es unter den Erwachsenen. Kinder blieben als elternlose Waisen zurück. So wurden in Scharfenberg nach dem Tod beider Eltern 7 Kinder zu Vollwaisen. Der Friedhof konnte nicht mehr alle Bestattungen fassen und musste 1814 erweitert werden, dazu später.

Von Mitte Mai 1813 bis 10. Juni blieb das Röhrsdorfer Pfarrhaus ohne Einquartierungen. In Naustadt war am 30. Mai ein Kapitain der franz. Kaiser Garde mit Mannschaft im Pfarrhaus einquartiert. Am 4. Juni trat ein Waffenstillstand in Kraft, der bis 16. August reichen sollte. Beide Seiten waren erschöpft und warteten auf Verstärkung. Außerdem wurde in dieser Zeit um die Gunst Österreichs gerungen. Am 17. Juni kam es zu einem Überfall der Franzosen auf die Reiterei der Lützowschen Freischar unweit von Lützen. Nach Verhandlungen in Prag erklärte Österreich am 12. August Frankreich den Krieg. Damit endete der Waffenstillstand.
Nach diesem Ausblick auf die weiteren Kriegshandlungen zurück nach Röhrsdorf: Am 10. Juni kamen auf die Röhrsdorfer Pfarrer zwei Kapitaine der italienischen Chasseur-Garde (JägerGarde). Sie hießen Origo und Orangi und kamen mit 4 Leuten und 6 Pferden ins Quartier. Stöckhardt berichtet, dass sie sich wunderten über die Geschwindigkeit, mit der sie bedient wurden und darüber, dass die Italiener sie fast mit Gewalt anhielten, alles langsam zu tun. „Sie wollten schon warten.“ Stöckhardt und die Bewohner im Pfarrhaus waren das Tempo von den französischen Soldaten gewöhnt, die ständig riefen, wenn sie etwas wollten „schnell, schnell“.

Am 14. Juni kommt der Oberst Duroc, Neffe des Palast–Marschalls vom Lanziers- Regiment der Garde mit 1 Jäger, 1 Reitknecht, 2 Mann und 9 Pferden zur Einquartierung.
Stöckhardt schrieb: „Nie habe ich mehr Pracht und Kostbarkeit gesehen als an seinem Zschakko (militärische Kopfbedeckung) nie so etwas extra feines gehört als das Glockenspiel in seiner Uhrkette. Die reichest und properst eingerichtete Küche und Magazin führt er bey sich auf Wagen, besser als es Napoleon habe, meinten seine Leute. Ach, unsere Armut wurde fast aufgefressen von seinem Reichtum! Denn seine 9 prächtigen Pferde assen nichts als Weishafer. Dagegen frassen die 30 verhungerten Pferde der Spannbauern 2 Fuder Klee, ohne das Gras im Garten, worin sie eingesperrt waren. Und was sie etwa noch übrig liessen, das frassen oder traten unter die Füsse die sämmtlichen Pferde der 2 Eskadrons, welche des Nachmittags zur Revision in den grossen Grasegarten geführet und an die Bäume gebunden wurden. Ich hatte vorher vergeblich um Abänderung des Musterplatzes angesucht. Verzweifelt stand ich an der Gartenecke und sahe den Greuel der Verwüstung mit an. Auf einmal ruft er mir zu: „Herr Pfarr, warum so traurig?“ Ich erwiderte: „Ach, meine armen Kühe werden für Hunger sterben, wie Ihre Pferde für Ueberfluss platzen!“ Er lachte, befahl den augenblicklichen Abmarsch der Pferde aufs Dorf, und rettete so noch die Hälfte des Grases vom Untergange.

Vom 16. bis 17. Juni waren im Pfarrhaus 2 „Damen“ einquartiert, eine Witwe von 40 Jahren, Stöckhardt bezeichnet sie „generis neutrius“ (geschlechtsneutral) und die andere, 20 Jahre alt, „generis communis“ – eine Allermännin. Zu Deutsch heißt das; es war eine 20jährige Hure mit ihrer mütterlichen Begleiterin im Pfarrhaus zu Gast.
Stöckhardt schreibt vorsichtig, was an diesen beiden Tagen geschah. Die Offiziere kamen ins Haus. Und sagten: „Wir erneuern heute hier die Schlacht von Lützen.“ Ausdrücklich erwähnt Stöckhardt, dass es tagsüber nur zu Handgreiflichkeiten und Annäherungen kam - anders in der Nacht. Der Kommandant der Franzosen war wohl ein Deutscher. Stöckhardt musste dolmetschen. Des Weiteren berichtet er, dass er aus der Schatulle der Frau ihr Briefe vorlesen musste, die in Spanien, Russland und Polen an sie geschrieben waren. Denn all diese Schlachten hat sie mitgemacht. Sie war als junge Frau gut bewaffnet, konnte reiten und auch in den Reihen der Kavalleristen fechten. Eine Stichwunde am Fuß von einem Kosakenspeer aus Lützen vom 2. Mai war noch nicht ganz verheilt und über der Hand war eine lange Narbe eines Säbelhiebs zu sehen. Nach diesem wohl eher geselligen Vorleseabend erhielt die junge Frau 22 Uhr eine Einladung zum Bataillonschef, welche sie sogleich annahm. So übernachtete im Pfarrhaus nur die andere Dame mit ihrem Spannbauern und ihren Pferden. Stöckhardt schreibt: „Des Morgens frühstückten sie gewaltig, steckten auch ein. Mit einem Wort: es waren beydes ein paar Fleischfress- und Wein-Caffe-Säuferinnen.“