Zeitfenster 23

1419 - vor 600 Jahren - erster Prager Fenstersturz und dessen Auswirkungen für unsere Region

Die Zeit vor 600 Jahren gehört noch zum Mittelalter. Wir wissen aus dieser Zeit nicht mehr viele Einzelheiten, aber es ist erstaunlich, dass bei den Bauarbeiten an der Soraer Kirche noch deutliche Spuren dieser Zeit gefunden worden sind.

Der Oxforder Theologieprofessor John Wiclif war ein führender Repräsentant des Nationalgefühls, das infolge des politischen Aufschwungs in England und Frankreich um 1350 erwachte. Damit verbunden war der national begründete Widerstand gegen das Papsttum. Später entwickelte er ein umfassendes theologisches Reformprogramm.

Ein Bauernaufstand war für ihn verhängnisvoll. Seine Gegner machten ihn dafür verantwortlich; so zog er sich in eine Pfarrei zurück. Sein Gedankengut und der Inhalt seiner theologischen Reformschriften verbreiteten sich weiter. Bedingt durch die dynastischen Verbindungen von England und Böhmen hatten viele junge tschechische Adlige in Oxford studiert. In Prag fanden die Lehren von Wiclif einen fruchtbaren Boden und entfesselten eine gewaltige kirchliche Revolution. Der Universitätslehrer und Prediger Johannes Hus, von starker religiöser Begeisterung erfüllt, war führender Vertreter der neuen Lehre. Im Gottesdienst hat er die tschechische Sprache eingebracht, so wie Luther 100 Jahre später in Wittenberg die deutsche Sprache.

Ein offener Streit zwischen deutschen und tschechischen Universitätsangehörigen führte zum Auszug der sogenannten „Deutschen Nation“ dazu gehörten damals vor allem Sachsen, Bayern und Polen. Das Kuttenberger Dekret, mit dem der böhmische König Wenzel IV. 1409 die meisten deutschen Professoren und Studenten zum Auszug aus der Prager Universität zwang, konnte die Gemüter nur kurzzeitig beruhigen. In Leipzig gründeten sie eine neue Universität.

Nach dramatischen Unruhen stellte sich in Prag die theologische Fakultät 1412 gegen Hus. Hus wird vom Papst unter Bann gestellt, den die böhmischen Adligen beschützten. Kaiser Sigismund, dem an der Wiederaufrichtung der kirchlichen Ordnung in Böhmen gelegen war, forderte Hus auf, sich unter kaiserlichem Geleit auf das Konzil nach Konstanz zu begeben. Ziel des Konzils war es, die kirchlichen Reformen zurückzudrängen, die Unruhen beizulegen und die Spaltung des Papsttums aufzuheben (zu dieser Zeit gab sogar drei Päpste). Jan Hus wurde am 6. Juli 1415 in Konstanz zum Feuertod verurteilt, dabei spielten seine Landsleute eine entscheidende Rolle.

Der Tod von Hus versetzte ganz Böhmen in Aufruhr. Hus wurde zum Nationalheiligen. Als nach dem Tod König Wenzels die böhmische Krone auf den deutschen Kaiser Sigismund überging, erhob sich die böhmische Nation in flammendem Hass gegen den „Mörder“ Hussens und wehrte sich mit den schrecklichen Hussitenkriegen (1419-1436) gegen diesen Herrscher und die römische Kirche.

Am 30 Juli 1419 befreiten wütende Aufständische gefangengehaltene Anhänger und warfen die katholischen Ratsherren aus den Fenstern des Altstädter Rathauses; sie wurden von der unten wartenden Menge aufgespießt. Dieser „erste Prager Fenstersturz“ bildete den Auftakt zu den blutigen Hussitenkriegen.

Das religiöse Symbol dieser Bewegung war der „Laienkelch“.

Sigismund griff die Hussiten von Sachsen, Bayern, Ungarn und Österreich an. Alle Versuche, sie zu schlagen, scheiterten. Obwohl innerlich gespalten, kämpften sie geeint und waren unüberwindlich. Seit 1427 überfluteten die Hussiten mordend und brennend die Nachbarländer, sie streiften bis zur Ostsee nach Danzig.

Die Hussiten wurden nie vollständig besiegt. Ein Teil ihrer militärischen Taktik waren mobile Wagenburgen. Dabei waren sämtlich Wagen des äußeren Wagenringes mit Kanonen bestückt. Erst das Konzil zu Basel, das ihnen einige Zugeständnisse machte, beendete die Hussitenkriege. In Böhmen kam der Konflikt erst 1485 zur Ruhe.

Triebkräfte für die Zerstörung durch die Hussiten waren Hass und Rache. In blinder Wut wurden Städte, vor allem Dörfer und Kirchen zerstört. Wehrlose Menschen töteten sie, sie schonten die Zivilgesellschaft nicht. Unzählige Bauerndörfer, die ihnen schutzlos ausgeliefert waren, brannten sie nieder. Ganze Landstriche blieben entvölkert zurück. Wen sie nicht töteten, den nahmen sie mit. Oft wurden alle Wintervorräte und das Saatgetreide von den Soldaten mit ihrem Tross verbraucht oder vernichtet.

Spuren der vollständigen Zerstörung der Kirche in Sora haben die Archäologen im Kircheninneren 2017/ 2018 gefunden. An den Grundmauern auf damaliger Fußbodenhöhe sind heute - 600 Jahre später - noch Brandspuren deutlich ablesbar. Verkohlte Balken, auf denen die Fußbodenbretter aufgenagelt waren, sind gefunden worden. Damit ist bewiesen, dass damals der gesamte Dachstuhl in die Kirche stürzte und im Kirchenschiff vollständig verbrannte. Es waren keine Menschen mehr da, die den Brand hätten löschen können.

Die Hussiten brannten Altendresden nieder und verwüsteten die Gegend westlich von Dresden im Herbst 1429. Es wurde damals auch Taubenheim mit samt der Kirche gebrandschatzt.

Christoph Rechenberg, Pfarrer, Sommer 2019