Zeitfenster 16 - Luitgarde Prinzessin Heinrich XV. Reuß j.L., geb. Gräfin zu Stolberg-Wernigerode

Klipphausen und Patronatsherrin der Kirche zu Röhrsdorf

Erneut veröffentlicht in ursprünglicher Rechtschreibung, teilweise gekürzt und bzw. ergänzt und erläutert von Pfarrer Christoph Rechenberg in Röhrsdorf, Ostern 2017

Den Lebenslauf verfasste 1917 Lic. Dr. Siedel, Hofprediger und Konsistorialrat in Dresden, vormals Pfarrer in Röhrsdorf von 1891-1902.

Luitgarde Prinzessin Heinrich XV. Reuß j.L., geb. Gräfin zu Stolberg-Wernigerode

wurde geboren zu Jannowitz [1] in Schlesien am 30. August 1838 als zweites Kind Seiner Erlaucht des Grafen Wilhelm zu Stolberg-Wernigerode und seiner erlauchten Gemahlin Elisabeth geb. Gräfin zu Stolberg-Roßla. Die schlesische Heimat gab ihr unvergleichliche Eindrücke mit auf den Lebensweg. Das geräumige Schloß, hart am Bober [2] gelegen, die Bäume des schönen Waldgartens und die Höhen des Riesengebirges verliehen dem Leben schon von selbst eigenartige Form und Farbe, frische Luft und stärkende Art; die alten Laubengänge und Baumplätze, die versteckten Gärtchen und das geheimnisvolle Bolzenschloß [3] in der Nähe waren ebenfalls wie geschaffen, das kindliche Gemüt anzuregen. Im Hause selbst aber, - mit 14 Geschwistern – herrschte fröhliches, ungezwungenes Leben, das, von gesunder, schlichter Frömmigkeit getragen, von Gehorsam und Freiheit in rechter Weise geregelt, nach des Vaters männlichen und der Mutter innigem Vorbild sich entfalten durfte und die Geschwister auf Lebenszeit fest miteinander verbunden hat.

Unvergesslich blieb dem Kind auch Buchwald [4], wo Gräfin Friedericke von Reden [5] die christlich angeregten Familien der Hirschberger Gegend sammelte; auch die „Zillertaler“,

[6]  die einst nach schwerer Verfolgung in den Vorbergen des Riesengebirges ihre zweite Heimat gefunden hatten, hinterließen einen tiefen Eindruck bei ihr.

Des Vaters Beruf brachte allerlei Abwechslung. Ursprünglich Offizier, hatte Graf Wilhelm 1845 das Landratsamt in Hirschberg übernommen, trat aber 1849 wieder bei der Garde du corps [7] in Potsdam als Rittmeister ein, da er zum Eid auf die damals noch neue Verfassung sich nicht entschließen konnte. Das bedingte dann die Verlegung des Haushaltes nach Potsdam. Wenn sich nun hier und in Berlin auch die kommende Lebenszeit abspielte, so ward doch jährlich langer Aufenthalt in Jannowitz genommen und auch sonst führte manche Reise in die Welt hinaus. Von solchen Fahrten durchs Land im eigenen Reisewagen blieben der Erinnerung so manche Bilder, an Roßla [8], die mütterliche Heimat, die Graf Karl allen Neffen und Nichten zum Paradies zu machen verstand und ein etwas schreckhaftes an das geheimnisvolle Passieren Berlins in den Märztagen 1848.

Geleitet von ernsten, christlichen Interessen kam das Stolbergsche Haus bald mit Männern, wie Goßner [9] und Büchsel[10] in Berührung. Dr. Büchsel hat Gräfin Luitgarde auch am 24. September 1853 in der Matthäikirche zu Berlin konfirmiert. Der Konfirmandenunterricht, den erst einleitend Hofprediger Heim in Potsdam und dann hauptsächlich Dr. Büchsel erteilte, war von bestimmendem Eindruck. Aus jener Zeit stammt auch die Lebensfreundschaft mit Fräulein Hildegard Götze, Tochter Seiner Exzellenz des Kronsyndikus [11] Wilhelm Götze, die bis ans Lebensende gewährt hat. 1856 wurde dann Graf Wilhelm nach Oels  [12] versetzt und im Jahre 1859 galt es, sich von der geliebten älteren Schwester, Gräfin Marianne zu trennen, die sich mit dem Grafen zu Solms-Laubach [13] verlobt hatte. Gräfin Luitgarde musste so nicht nur die ihr besonders Nahestehende hergeben, sie ward damit selbst daheim die Älteste des großen Kreises und hatte in ihrer Liebe und Wahrhaftigkeit der Eltern und Geschwister Vertrauen in hohem Maße.

Dieser Lebenslauf wird fortgesetzt.

Quelle: Archiv der Ev.-Luth. St.-Bartholomäus-Kirchgemeinde Röhrsdorf

[1] im ehemaligen preußischen Landkreis Hirschberg gelegener Ort

[2] Fluss im Hirschberger Tal, gibt dem „Bober-Katzbach Gebirge“ den Namen

[3] Burgruine aus dem 14.Jh.

[4] im Hirschberger Tal

[5] Frau des preußischen Ministers Friedrich Wilhelm von Reden, sie wurde wegen ihres sozialen Engagements auch „Mutter des Hirschberger Tales“ genannt. Der spätere König Friedrich Wilhelm IV. war mit ihr eng befreundet und ließ nach ihrem Tod ihr zu Ehren ein Denkmal an der Kirche Wang im ehemaligen Krummhübel im Riesengebirge in Nähe der Schneekoppe errichten – die Gedenkplatte ist heute noch vorhanden)

[6] von der Gräfin Reden mit ausdrücklicher Billigung des Königs Friedrich Wilhelm III. evangelische Glaubensflüchtlinge aus dem Zillertal in Tirol in Erdmannsdorf ansiedelte – die Siedlung mit ihren historischen Holzhäusern der Tiroler Leineweber ist heute noch zu besichtigen und z.T. Museum

[7] Leibgarde des Königs

[8] Südharz

[9]   ev. Theologe und Gründer der „Gossner Mission“ 1842 für die Missionsarbeit in Indien                      

[10] ev. Theologe, Generalsuperintendent und Konsistorialrat

[11] Jurist und Rechtsgelehrter, persönlicher Berater des Königs Friedrich Wilhelm VI und somit Mitglied des Herrenhauses

[12] Kreisstadt des ehemaligen preußischer Landkreis Oels nord-östlich von Breslau in Schlesien

[13] hessische Adelsfamilie, ehemals im Reichsgrafenstand